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Neuerscheinung Rezension

Es gab Kohl und es gab Derrida – und gegen Kohl waren viele

im Tagesspiegel Kultur am 7. Oktober 2020
von Gerrit Bartels

tagesspiegel kultur 7. oktober

Natürlich bleibt es nicht aus, das in dem Gespräch mit den dreien die konkrete, erlebte Vergangenheit gestreift wird, die fiktiven Grenzen und das Faktische verschwimmen. Bude, Munk und Wieland erinnern sich an „harte“ Absturzläden wie das Ex’n’Pop oder das Risiko, an den „irgendwie überflüssigen“ Dschungel, an einen Lieblingsladen wie den Bierhimmel

Oder an das Andere Ufer in Schöneberg, „das eigene Vertrauen, die eigene Stärke, die man darin hatte“, wie Bude sagt. „Wenn da eine Nina Hagen hereinkam oder irgendein ein anderer Szene-Prominenter – Bowie habe ich da übrigens nie gesehen –, dann sagte man sich: Das kann ich auch!“

Karin Wieland wiederum weist darauf hin, dass dieses West-Berlin nicht zuletzt kaum zu verstehen gewesen sei ohne die prägenden intellektuellen Figuren jener Zeit: den Religionssoziologen und Philosophen Jacob Taubes, den an der FU lehrenden Philosophen Klaus Heinrich, den Besitzer der Heinrich-Heine-Buchhandlung im Bahnhof Zoo Hans Brockmann oder die Welt des Merve Verlags und seiner Gründer Peter Gente und Heidi Paris.

Auch der weibliche Chor erlaubt eine präzisere Perspektive auf die alles andere als ausgeglichenen Geschlechterverhältnisse jener Zeit. Wie überhaupt Kreuzberg was enorm Widersprüchliches hatte: hier eine kleine, letztendlich auch provinzielle Welt. Und dort, wie Bettina Munk sich erinnert: „Man konnte alles machen, was in dieser Offenheit nirgendwo anders möglich war.“